Dr. Kateryna Kobchenko

Mitarbeiterin für die Erschließung von Interviews mit west-ukrainischen Zwangsarbeiter:innen als Teilsammlung des Online-Archivs „Zwangsarbeit 1939-1945“ an der Freien Universität Berlin

Frau Kobchenko, was ist das Besondere an der Teilsammlung?

Die Interviews der Sammlung spiegeln die besondere Erfahrung west-ukrainischer NS-Zwangsarbeiter:innen wieder. Das Gebiet um Lwiw, wo die Interviews geführt wurden, gehörte in der Zeit zwischen den Kriegen zu Polen, sodass die Interviewten vor 1939 polnische Bürger:innen waren. Als Folge des Hitler-Stalin-Paktes kam die West-Ukraine in den Jahren 1939 bis 1941 unter sowjetische Besatzung. Dies führte zu einer Stärkung der ukrainisch-nationalistischen Bewegung sowie zu einer zunächst positiven Haltung der Bevölkerung gegenüber der deutschen Besatzung. Nicht zuletzt wegen der Zwangsrekrutierung zur Arbeit nach Deutschland änderte sich diese Haltung schnell. Auch wenn die Zwangsarbeiter:innen aus der West-Ukraine in der Hierarchie des NS-Systems nicht zu den „Ostarbeiter:innen“ gezählt wurden und etwas bessergestellt waren als diese.

Wie verlief der Erschließungsprozess? Gab es Hürden zu überwinden oder auch besonders eindrucksvolle Momente beim Erfassen der Antworten?

Die Basis für die Erschließung sind korrekte Transkriptionen und gute Ãœbersetzungen. Das und auch die Gliederung mit Ãœberschriften war eine große Herausforderung, denn viele der Interviewten haben undeutlich gesprochen und fragmentarisch erzählt. 

Damit die Interviews für die deutschsprachigen Nutzer:innnen verständlich sind, mussten viele spezifische Begriffe und Ereignisse der ukrainischen Geschichte mit Anmerkungen erläutert werden. Aufwändig war auch die Recherche und Erfassung von Orts- und Lagernamen aus verschiedenen Ländern Europas und der Sowjetunion. Die Herausforderung war aber gleichzeitig das Interessante, denn die Interviewten sind keine typischen Zeitzeug:innen: Viele sind in einem bäuerlichen Umfeld aufgewachsen und nur wenige Jahre zur Schule gegangen, solche Perspektiven sind bislang wenig präsent.

Worin liegt der besondere Wert eines lebensgeschichtlichen Interviews?

Die Interviews enthalten viele Details, die man in anderen Quellen kaum findet. Die subjektiven Perspektiven der Interviewten stellen zudem eine wichtige Bereicherung für die historische Forschung der west-ukrainischen Zwangsarbeitserfahrung dar. Wertvoll sind speziell diese Erinnerungsberichte, da viele der in diesem Projekt interviewten Personen vorher noch nicht öffentlich gesprochen haben. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges zeigen die Lebensgeschichten eindrucksvoll die Folgen von Krieg und Besatzung für die einzelnen Menschen und bieten einen interessanten Einblick in die ukrainische Zeitgeschichte.