Ende der Zeitzeugenschaft?

07.07.2022 – 08.01.2023 

kuratiert von Alina Gromova, Anika Reichwald und Anja Siegemund

Was wird sein, wenn keine Überlebenden der Schoah mehr leben und befragt werden können?

Grund genug, den Blick auf die Geschichte der Zeitzeugenschaft zu richten und auf die komplexe Beziehung zwischen Überlebenden und der sie umgebenden Gesellschaft. Denn bald werden keine Zeitzeug*innen mehr an der Kommunikation über ihre Erinnerung teilnehmen können und damit verlieren sie ihre Einspruchsmöglichkeit in Bezug auf die Interpretation und den Gebrauch ihrer Zeugnisse. Die Ausstellung widmet sich daher der Frage, wie Museen, Gedenkstätten und andere Institutionen mit den verbleibenden Zeitzeugnissen verantwortungsvoll umgehen können. Direkt nach der Schoah waren die Überlebenden oft allein mit ihren Erinnerungen, das Interesse daran begann in Deutschland verstärkt erst seit den 1980er-Jahren. Die Ausstellung richtet den Blick auf die Geschichte dieser Interviews seit 1945, aber auch darauf, welche Funktion ihnen und den Überlebenden seitens Öffentlichkeit, Zuhörenden und Institutionen jeweils zugeschrieben wurde. Sie blickt auf die Intentionen der Zeitzeug*innen und hinterfragt gleichzeitig die „Gemachtheit“ der Interviews, die Rolle der Interviewer*innen und die gesellschaftliche Erwartungshaltung. Außerdem präsentiert sie in vier thematischen Segmenten zum ersten Mal die verschiedenen Erinnerungsnarrative überlebender Berliner Jüdinnen und Juden. Und sie stellt Fragen nach Zukunft der Zeitzeugenschaft im Kontext diverser Erinnerungskulturen.

Eine Ausstellung des Jüdischen Museum Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Zusammenarbeit
mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.

Die für Berlin adaptierte Version enthält Interviews mit überlebenden
Berliner Jüdinnen und Juden.

Die Ausstellung wird gefördert durch die
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Erinnerungen – Erzählungen – Erwartungen

Heute existieren hunderttausende aufgenommene Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Keine Erzählung Erzählung gleicht der anderen, auch wenn sie sich immer wieder ähneln. Die Zeugnisse sind gefärbt von den Erlebnissen der Sprechenden und folgen keiner zeitlichen Chronologie. Vielmehr handelt es sich um assoziative Verknüpfungen erinnerter Fragmente. Der Inhalt der Erzählungen ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen den Interviewpartnerinnen und -partnern. Die erzählten Geschichten entwickelten ihre eigene Logik: mal folgen sie einem Erzählstrang, mal werden sie von unerwarteten, emotionalen Momenten gebrochen oder durch neues, sekundäres Wissen angereichert.

Gerade in Berlin treffen sich viele verschiedene Erzählstränge. In den hier ausgesuchten Videointerviews kommen Überlebende mit diversen Erfahrungsräumen zu Wort: jene, die aus Berlin stammen, jene, die erst nach der Schoa in Berlin lebten oder leben und jene, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur kurzzeitig in Berlin verweilten. Die Ausstellung zeigt eine exemplarische Auswahl aus den Sammlungen verschiedener Organisationen, etwa dem Fortunoff Archive for Holocaust Testimonies der Yale University Library in New haven, der USC Shoah Foundation, The Institute for Visual History and Education in Los Angeles oder dem United States Holocaust memorail Museum in Washington, DC.

Eine gemachte Sache – das Zeitzeugeninterview

Nur selten kann man heute noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Zeit als vortragende erleben. Stattdessen
häufen sich die Medienformate, in denen Interviewspräsentiert werden oder abrufbar sind. Das Interview wird
meist als ein ganzheitliches Produkt präsentiert. Die Entstehung einer solchen Produktion bleibt dabei verborgen.
Doch das Gespräch, das sich zwischen den überlebenden und dem geschulten lnterviewpersonal entwickelt, unterliegt
eigenen dramaturgischen und kommunikativen Spielregeln. Die Erzählenden, aber auch die Fragenden haben ihre jeweils
eigenen Vorstellungen: Erinnerungen werden bewusst verschwiegen oder betont, Fragen bleiben unbeantwortet,
Antworten werden verweigert. Das Zeitzeugeninterview findet in einem wechselseitigen Erwartungshorizont
.. objektiver Informationen” und „subjektiver Erfahrungen” statt und gleicht einer Bühneninszenierung: Licht, Make-up,
Bild und Ton, technisches Equipment.
In Dokumentarfilm-Sequenzen ist von der „Gemachtheit” der Erzählungen kaum etwas zu spüren. Doch es gibt
Störungen des Erzählens, die unwillentlich zeigen, dass ein Interview „gemacht” ist. Diese Störungen erlauben einen
Blick in die Inszenierung. Sie verraten oft mehr über die Gesprächsbeteiligten als das eigentlich Gesprochene.

6. Juli 2022 Ausstellungseröffnung

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Blick in die Ausstellung “Berliner Stimmen”

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