Peter Römer, wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel

Herr Römer, warum kann es für die Mitarbeitenden der Polizei und Justiz wichtig sein, sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu befassen?

Es gibt große Kontinuitäten in der Ausübung staatlicher Berufe. So üben Polizeibedienstete und Jurist:innen quer durch alle staatlichen Systeme immer dieselbe Rolle aus: Sie setzen Gesetze durch und sprechen Recht. Nicht diese Rollen also änderten sich in der NS-Zeit, sondern die Gesetze selbst – und genau deswegen trugen die beruflichen Vorgänger unserer Seminarteilnehmer:innen nicht nur bei zur Stabilisierung der NS-Diktatur, sie beteiligten sich viel mehr aktiv am Holocaust. Für viele Teilnehmer:innen unserer Seminare ist unbekannt, dass Polizisten 600.000 Jüdinnen und Juden erschossen– und viele von ihnen dennoch in der Nachkriegszeit juristisch ungesühnt und somit legal wieder in den Dienst zurückkehrten.
Insofern können Polizist:innen und Jurist:innen über vergangene Ereignisse ihre Handlungsoptionen und berufliche Rolle in Gegenwart und Zukunft reflektieren, die eben auch durch Kontinuitäten ihres Berufes geprägt sind.

Was ist das Besondere des Projekts „Das geht mich ja was an!“ und welcher Ansatz wird hier verfolgt?

Unser Projekt setzt Diskriminierungskontinuitäten durch staatlich Bedienstete über die vermeintliche Zäsur von 1945 hinaus in den Fokus. So endete die Verfolgung von Homosexuellen nicht mit dem 8. Mai 1945 – viel mehr galt der Paragraph 175 fort. Schwule Männer – auch wenn sie im KZ inhaftiert waren – waren ausgeschlossen aus sogenannten Wiedergutmachungsleistungen und wurden unter Zuhilfenahme von „Rosa Listen“ aus der NS-Zeit weiter polizeilich verfolgt und juristisch verurteilt. Erst ein Wertewandel führte zu einer Streichung des Paragraphen 1994, gleichwohl wirken die Folgen der Rechtsausübung- und Sprechung bis heute nach. Und: Die Teilnehmer:innen unserer Seminare können durch das Projekt bereits im Vorfeld beeinflussen, ob sie dieses Schwerpunktthema oder ein anderes – Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus – besprechen möchten.

Welche Erlebnisse und Erfahrungen innerhalb des Projektes waren überraschend, welche weisen vielleicht auf Missstände oder Bedarfe hin?

Das Projekt offenbart, dass nach wie vor Bilder vermeintlich klassischer Tätergruppen im Nationalsozialismus dominieren, etwa die SS, SA und Wehrmacht. Dass in ähnlichem Maße auch all jene staatlichen Berufsgruppen an NS-Verbrechen beteiligt waren, die es auch im Folgestaaten gab – also auch Polizisten, Richter und Co.- mag zwar in der Fachwissenschaft anerkannt sein – Allgemeinwissen ist dies längst noch nicht. Für unsere Seminarteilnehmer:innen ist ebenso überraschend, dass die Aufarbeitung belasteter Vergangenheit in Deutschland keineswegs vorbildlich verlief, sondern viel mehr ungenügend war. Jene Institutionen, die über die Zäsur hinweg bestanden, schützten sich selbst – und dies schloss belastetes Personal explizit mit ein. Insofern weist das Projekt auch auf eine Notwendigkeit der Reflexion der Selbst- und Fremdbilder des eigenen Berufsstandes hin.