Europäischer Jugendworkshop:Digitale Erinnerungsräume zum Thema NS-Zwangsarbeit

Europäischer Jugendworkshop: Zwei Fotos von sehr jungen Menschen, die von den Nazis zur Zwangsarbeiter in den Landkreis Erding verschleppt wurden.

Zwei Fotos von sehr jungen Menschen, die von den Nazis zur Zwangsarbeiter in den Landkreis Erding verschleppt wurden.

(Foto: geschichte-erding.de/oh)

Jugendliche aus Erding und Dorfen nehmen beim Projekt "Onboarding Memories" teil, bei dem in mehreren Workshops in Berlin, Metz, Treviso und im polnischen Krzyżowa eine netzbasierte Ausstellung entsteht.

Von Florian Tempel, Erding

Der Erdinger Historiker Giulio Salvati hat mit seinen Forschungen über die vielen tausend Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis in den Landkreis Erding verschleppt wurden, um hier Zwangsarbeit zu leisten, ein großartiges lokales Geschichtsprojekt auf die Beine gestellt. Mit seinem Projekt "Erdinger Geschichte" wurde er in diesem Jahr eingeladen, sich an einem europäischen Jugendworkshop zum Thema Zwangsarbeit zu beteiligen. Zwei Schüler aus Dorfen und Erding waren im Mai zusammen mit Salvati und etwa 20 weiteren Schülerinnen und Schülern aus Polen, Frankreich, Italien beim ersten Treffen für das Projekt "Onboarding Memories" an der Europäischen Akademie Berlin. Ziel des Projekts ist es, bis November gemeinsam eine virtuelle Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit zu gestalten.

Genau die Aspekte, die Salvatis Arbeit so bemerkenswert machen - die Partizipation von geschichtsinteressierten Laien, die interaktive Datenbank, die zugleich digitales Denkmal ist, die vielfältige mediale Umsetzungen mit Zeitzeugengesprächen, Infografiken und Videos - werden auch bei dem Projekt auf europäischer Ebene eingesetzt. "Onboarding Memories" will einen digitalen und vernetzen Erinnerungsraum schaffen, um das Schicksal der verschleppten, ausgebeuteten und versklavten NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sichtbar machen. Die Realisierung des Projekts ist "eine Reise zu einem wichtigen, aber auch schmerzhaften Kapitel der europäischen Erinnerungskultur", heißt es auf Website der Europäischen Akademie Berlin, die das Projekt in Kooperation mit einer polnischen, einer litauischen und einer französischen Einrichtung realisiert.

Die Initiative Erdinger Geschichte ist eine der drei deutschen Teilnehmer-Gruppen

Bei "Onboarding Memories" arbeiten junge Leute aus mehreren Ländern zusammen. Je drei lokale Geschichtsinitiativen aus Frankreich, Polen und Deutschland sowie eine aus Italien, die sich alle mit dem Thema Zwangsarbeit auseinandergesetzt haben, entsenden Schülerinnen und Schüler für den mehrteiligen Workshop. Die Initiative Erdinger Geschichte ist eine der drei deutschen Teilnehmer-Gruppen. Giulio Salvati hat im Frühjahr relativ kurzfristig Kontakt mit Stefan Grabrucker vom Korbinian-Aigner-Gymnasium Erding und Wolfgang Lanzinger vom Gymnasium Dorfen aufgenommen. Die beiden stellvertretenden Schulleiter haben dann die Teilnehmer für das Projekt gesucht. Unkompliziert sei das gewesen, sagt Lanzinger, ganz schnell hätten zwei Schülerinnen und zwei Schüler der Q11 Interesse angemeldet. Da das Projekt mehrere Treffen hat, kann jeder bei einem mitmachen. Nach dem Auftakt in Berlin kommt man Anfang Juli in Metz zusammen, im August gibt es ein Jugendcamp in Treviso und im November geht es zum Abschluss nach Krzyżowa in Polen.

Aus Erding war der 16-jährige Konrad Thees mit nach Berlin gefahren. "Es ist großartig bei so einem Projekt mitmachen zu können", sagt er, und es schwingt dabei durchaus etwas Ehrfurcht mit. Es ist nicht nur diese große geschichtliche Thema der Zwangsarbeit, sondern auch die internationale Kooperation, die ihn persönlich beeindruckt. Das ist schon weit mehr als ein Jugendaustausch mit polnischen, französischen, italienischen und litauischen Jugendlichen. Das Projekt traut den jungen Leuten zudem, völlig zurecht, auch viel zu.

Das Erinnerungsprojekt wird "weltweit verfügbar und für jeden zugänglich"

Es geht dabei nicht nur um die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern ganz zentral auch um die technische Realisierung. Jede lokale Teilnehmergruppe hat die nötige technische Ausrüstung erhalten und die Anleitung, wie man sie einsetzt. Jede teilnehmende Geschichtsinitiative wird einen digitalen Erinnerungsraum aufbauen, die am Ende vernetzt werden und so eine virtuelle Reise von den Herkunftsorten zu den Einsatzorten der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ermöglichen. Am Anfang steht jeweils eine lokale 360-Grad-Fotografie, die mit Videos, Texten, Podcasts und anderen Inhalten angereichert wird, um die Geschichte der NS-Zwangsarbeit an ihren Orten zu erzählen. Die Erdinger werde die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft thematisieren. "Das ist ein zeitgemäßer Ansatz", findet Konrad Thees, "da ist für mich auch die Motivation größer, als wenn am Ende nur einer Ausstellung in Polen zu sehen wäre." So werde das Erinnerungsprojekt "weltweit verfügbar und für jeden zugänglich".

Kurz bevor im November die Ergebnisse des Jugendworkshops im Netz freigeschaltet werden, wird es in Erding jedoch auch eine ortsgebundene Einweihung geben: für das vom Oberdinger Bildhauer Wolfgang Fritz gestaltete Denkmal in der Nähe des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers Eichenkofen.

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