Gastbeitrag der Villa ten Hompel

Am 31. Juli diesen Jahres jährt sich zum achtzigsten Mal die Deportation von 901 deutschen Juden:Jüdinnen in das KZ Theresienstadt.
Im Ghetto Theresienstadt, von den Nationalsozialisten ab November 1941 primär als Durchgangsstation für Deportationen in die Vernichtungslager im Osten benutzt, starben insgesamt etwa 33.000 Menschen. Unter ihnen auch der Großteil der 901 Personen, die Teil des „Transports Nr.XI/1“ waren, darunter 170 Menschen aus Münster und dem Münsterland.
Unter dem Vorwand einer „Evakuierung“ in ein „Altersghetto“ wurde die größtenteils älteren Juden:Jüdinnen vom Münsteraner Güterbahnhof in Güterwaggons deportiert. Das Ghetto Theresienstadt, wo der Transport am 01.08.1942 ankam, und die anschließende Deportation in die nationalsozialistischen Vernichtungslager überlebten lediglich 11 der 901 ursprünglich deportierten Menschen.
An einige von ihnen erinnern heute Stolpersteine im Stadtgebiet von Münster. Intern betrachteten die Nationalsozialisten die von der Gestapoleitstelle Münster/ Bielefeld organisierte „Aktion“ als Erfolg, das Gau Westfalen-Nord wurde als „judenfrei“ gemeldet.

Der solchen Deportationen und anderen nationalsozialistischen Verbrechen zugrundeliegende Antisemitismus beschäftigt das Team der Villa ten Hompel aus historischer Perspektive, aber auch als zeitgenössisches, strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem und Phänomen.

Im Rahmen des vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) und der Stiftung EVZ geförderten Projektes „Das geht mich ja was an!“ wird seit Beginn des Jahres 2022 in verschiedenen Arbeitsgruppen daran gearbeitet, berufsgruppenbezogene Seminarangebote und Fokusmodule für Polizei und Justiz zu entwickeln. Diese geschichts- und gegenwartsbezogenen Seminarmodule sollen die Teilnehmenden in partizipativer Art und Weise dazu anregen und ermutigen, die eigene berufliche Rolle, das alltägliche Handeln als Teil der exekutiven und judikativen Gewalt sowie den individuellen „Wertekompass“ zu reflektieren und demokratiestärkende Haltungen zu entwickeln.

Die AG-Antisemitismus möchte hierbei vor allem den Blick für zeitgenössische Formen und Erscheinungsweisen von Antisemitismus schärfen. Die nationalsozialistische Geschichte soll dabei Hebel und Ausgangspunkt sein, um über Brüche, aber auch Kontinuitäten antisemitischer Einstellungen und Diskriminierungen ins Gespräch zu kommen. Die Vermittlung einer Gegenwartsperspektive auf Antisemitismus, welche ohne unzulässige Parallelisierungen zwischen historischen Ereignissen und heutigen Prozessen auskommt, soll den Teilnehmenden eine Möglichkeit geben, auf Augenhöhe zu diskutieren, sich auszutauschen und Handlungssicherheit für den beruflichen Alltag zu erlangen. Dazu lernen die Teilnehmenden Betroffenenperspektiven kennen, beschäftigen sich anhand von Fallbeispielen mit verschiedenen Formen und Charakteristika des zeitgenössischen Antisemitismus (z.B.: Umwegkommunikation und „Abwertung durch Aufwertung“) und arbeiten mit wissenschaftlichen Definitionen sowie dem „3-D Test“.
So erkennen die Teilnehmenden Antisemitismus als etwas, dass sie, nicht nur in ihrer Berufsrolle, „etwas angeht“.

Eingebunden in den breiteren Kontext der Villa ten Hompel als Ort nationalsozialistischer Verbrechen, bundesrepublikanischer „Wiedergutmachung“ und „Geschichtsort“ der historisch-politischen (Weiter-)Bildung soll am Ende der eintägigen Seminare eine produktive Irritation und Reflexion der eigenen Verantwortung und des eigenen Handelns als Individuum in einer staatlichen Institution mit nationalsozialistischer Vergangenheit stehen.

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  • Peter Römer – wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel – spricht im Interview mit uns darüber, wie das Projekt „Das geht mich ja was an!“ Mitarbeitende der Polizei und Justiz gegen Antisemitismus sensibilisiert.

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