Dr. Alina Bothe, Projektleiterin für #LastSeen der Arolsen Archives

Frau Bothe, worum geht es bei #LastSeen und welche Querverbindungen sehen Sie zu anderen Projekten der Bildungsagenda NS-Unrecht?

#LastSeen beschäftigt sich mit den Bildern der NS-Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Unser Ziel ist es, alle bekannten Fotos zu erfassen, neue zu finden und die Bilder möglichst tief zu erschließen. Die Fotos werden dann zusammen mit den Bild- und Kontextinformationen auf einer speziell dafür konzipierten digitalen Plattform publiziert, dem Bildatlas. Parallel dazu entwickeln wir ein digitales Lernspiel für Jugendliche und junge Erwachsene.

So schaffen wir neue digitale Zugänge ‒ darin sehe ich auch eine starke Querverbindung zu vielen anderen Projekten der NS-Bildungsagenda. Ein Beispiel ist das Web-Projekt des NS-Dokumentationszentrums Köln. Auch hier geht es darum, auf ethisch angemessene Weise im digitalen Raum zu zeigen, was wir nicht sehen, und verschwundenes jüdisches Leben virtuell wieder sichtbar zu machen. Ein anderes Beispiel ist das mobile Game des Theaters der jungen Welt, das Zwangsarbeit im Nationalsozialismus thematisiert. Ähnlich wie bei unserem Lernspiel wird dort Geschichte im konkreten Stadtraum verortet und ins Digitale erweitert.    

Was bedeutet es, Bilder ethisch zu zeigen und warum ist es besonders im Umgang mit historischen Dokumenten – wie Fotos der NS-Deportationen – wichtig, neue Richtlinien zu entwickeln?

Dokumente und besonders Fotos von NS-Deportationen sind eine Zumutung. Sie zeigen Menschen, denen Unrecht geschieht, die gedemütigt und entwürdigt werden. Wir müssen das aushalten. Zugleich müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie wir diese Fotografien zeigen können, ohne die darauf Abgebildeten ein weiteres Mal zu entwürdigen. Wie gelingt uns das?

Bei #LastSeen verfolgen wir die Leitlinie der maximalen Transparenz. Das heißt, wir sagen, was wir wissen – aber auch, was wir nicht wissen oder eventuell wissen. Wir arbeiten mit Gegenbildern, wir zeigen die Verfolgten nicht nur im Moment der Demütigung, sondern auch in ihrem privaten Umfeld, auf Fotos, die sie in Alltagssituationen abbilden, im Familienkreis, bei feierlichen Anlässen, zu einer Zeit, als sie noch nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren. 

Neben einem digitalen Bildatlas für die Fotos von NS-Deportation wird ein Bildungstool für junge Menschen entwickelt: Mit welchem Format kann das Projekt am besten einer jungen Zielgruppe vermittelt werden?

Die Lebenswelt junger Menschen ist mehr als je zuvor von Bildern geprägt, sie interessieren sich für Bilder. Das ist unser Anknüpfungspunkt. Wir wollen sie dazu anregen, genau hinzuschauen, auf die Details und den Kontext zu achten und Geschichte eigenständig zu erforschen. In verschiedenen Workshops mit Schulklassen während der Entwicklung des Lernspiels sehen wir, wie intensiv junge Menschen die Bilder anschauen und verstehen wollen. Im Spiel können sie selbst recherchieren und die Geschichte der Deportationen aus verschiedenen Orten selbst erzählen.