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„Unter uns. Unsichtbar?“ in Frankfurt: Da unten ist alles noch da

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Unterm grünen Rasen ist die Vergangenheit, muss man nur aufrollen. Foto: Felix Grünschloß
Unterm grünen Rasen ist die Vergangenheit, muss man nur aufrollen. Foto: Felix Grünschloß © Felix Grünschloß

„Unter uns. Unsichtbar?“ – ein Abend des Jungen Schauspiels Frankfurt zur Erinnerung an Zwangsarbeit.

Der Rasen, der die Bühne bedeckt, wirkt beruhigend. Jugendliche tanzen darauf anmutig zu rhythmischer Musik. Der Traum von einer heilen Welt könnte hier real sein. Nur gelegentlich stört ein irritierend metallischer, fordernder Ton die Harmonie, drängt die Gruppe zu Gleichschritt statt zu individueller Traumverlorenheit.

Mit wirkmächtigen subtilen Bildern nähert sich die Inszenierung des vierten Teils der Reihe „Fragile Verbindungen“ Ereignissen aus der NS-Geschichte Frankfurts. Unter dem Titel „Unter uns. Unsichtbar?“ und in der Regie von Martina Droste und Tina Müller war jetzt die Uraufführung in den Frankfurter Kammerspielen. Erinnert wird an das Jahr 1944, in dem 50 000 Häftlinge des KZ-Außenlagers Katzbach in den Adlerwerken im Gallus Zwangsarbeit leisten mussten. Diese Ereignisse fanden zwar weit vor der Geburt der zehn Mitwirkenden des Jungen Schauspiels statt, dennoch gelingt es ihnen, die Zeit bedrängend nah heranzurücken.

Ihre Erzählung setzt bei eigenen Erfahrungen an. Aus der tanzenden Gruppe (Komposition und Sounddesign: Max Mahlert) tritt zunächst Binyam hervor. Er ist größer und kräftiger als die anderen und hat bereits vielfältigste Arbeitserfahrung: „Ich wurde ausgenutzt, musste ohne Pause alles geben, um in dieser Gesellschaft einen Platz zu bekommen“, sagt er und fragt sich: „Wie können wir frei sein, wenn wir unter solchen Bedingungen arbeiten?“

Nach und nach sprechen auch die übrigen Tanzenden von eigenen biografischen Verknüpfungen. Der Urgroßvater von Daphné beispielsweise hat als Marxist in Warschau im Widerstand gekämpft und ist deportiert worden.

Der Zugang zu den geschichtlichen Ereignissen im Arbeitslager erfolgt jedoch nicht nur auf dieser individuellen Ebene. In einer Art Exkurs ist eine dokumentarische Dimension in die Inszenierung eingefügt. Dazu werden einzelne Rasenstreifen eingerollt und wird der Blick auf schwarzen Untergrund freigegeben. Die Tiefenschichten des über der Rasenfläche unbeschwert wirkenden Alltags treten hervor. Die Bühne (Ausstattung: Michaela Kratzer) ist nun hell ausgeleuchtet, die Jugendlichen sind zunächst verschwunden. Durch Bodenklappen kehren sie halb zurück, zitieren vom Untergrund aus Passagen aus Gerichtsprotokollen, in denen Verantwortliche die ihnen vorgeworfenen Misshandlungen leugnen oder ihr Verhalten mit auszugleichenden Produktionsausfällen zu rechtfertigen suchen.

Nach diesem Einschub kehrt die aus unterschiedlichen Kontexten zusammengesetzte Gruppe wieder auf die Gegenwartsebene zurück. Die Recherchen führen zu neuen Fragen. Welche Mitverantwortung tragen die Menschen, die im Umfeld der Adlerwerke gelebt und die Misshandlung der Häftlinge ignoriert haben? Hat die Zeit nur ein Herz für Deutsche gehabt? „Wie wäre das Leben für mich gewesen?“, fragt Luis.

Was vergangen scheint, wird nahezu nahtlos zum Teil der eigenen Gegenwart. Es ist vor allem die Art, wie Arbeit zum Motor für Integration und Anerkennung gemacht wird, welche sich über die Zeitgrenzen hinaus nicht grundsätzlich verändert zu haben scheint. Wiederholt fallen Kernsätze, wie: „Es geht um Menschen, die behandelt werden wie Batterien. Wenn sie leer sind, schmeißt man sie weg und holt sich neue.“ (Ayman). Auch der Slogan „fördern und fordern“ aus gegenwärtigen Debatten zur Asylpolitik wird zitiert. Ist Arbeitsmoral deutsch, fragen sie.

Indem von familiären Erfahrungen gesprochen wird, gerät auch die Generation der „Gastarbeiter“ und die Zeit des „Wirtschaftswunders“ in den Blick. Elisa ist mit ihrer Mutter aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Sie beobachtet, dass 24-Stunden-Pflegekräfte aus ihrer Heimat auch heute noch weniger Stundenlohn erhalten als einheimische Kräfte. Annalisa hingegen lenkt den Blick auf Menschen, die mit Einschränkungen leben. Mit ihren Händen übersetzt sie ihre Worte zeitgleich in die Sprache von Gehörgeschädigten. Niemand, das macht sie eindrucksvoll bewusst, muss wegen einer solchen Einschränkung außerhalb stehen.

Überzeugend tief dringt das Ensemble multiperspektivisch in unterschiedliche Phasen der Geschichte vor. Der Abend zeigt, wie Erinnerung auch aus fast 80 Jahren Abstand gelingen kann.

Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele: 13. Januar, 2. Februar. www.schauspielfrankfurt.de

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