Mit dem Förderprogramm local.history unterstützt die Stiftung EVZ lokal und regional aktive Geschichtsinitiativen in Mittel- und Osteuropa. Wo sind Leerstellen in unseren Erinnerungskulturen und vergessene Orte der NS-Geschichte? Projektträger aus Polen berichten.

Mit dem Förderprogramm local.history unterstützt die Stiftung EVZ lokal und regional aktive Geschichtsinitiativen in Mittel- und Osteuropa. Die Idee dahinter: Über die Einbindung von Akteur:innen und der Bevölkerung vor Ort soll eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Geschichte des NS geschaffen werden. So sollen aus vergangenen Erfahrungen mit Antisemitismus, Rassismus oder Diskriminierung Gegenwartsbezüge hergestellt und die demokratische Grundhaltung gestärkt werden. Auch die MEMO-Studie deutet einen Zusammenhang zwischen lokalen Zugängen und dem Wissen um Zeit des NS an.

Mit ihrem Jahresthema #WatchOutHstry blickt die Stiftung EVZ auf die Fragen: Welche Chancen bietet Lokalgeschichte – und wo lauern die Fallstricke? Wo sind Leerstellen in unseren Erinnerungskulturen und vergessene Orte der NS-Geschichte? Projektträger:innen aus Polen berichten.

Stowarzyszenie Panorama Kultur, Wojsławice

Dass in Polen Geschichte nie einfach „nur“ Geschichte ist, weiß wohl kaum einer so gut wie Emil Majuk. Seit etwa 15 Jahren sammelt der Vorsitzende des Vereins Panorama der Kulturen (Stowarzyszenie Panorama Kultur) nun schon die Erinnerungen der lokalen Bevölkerung in und um Wojsławice, ein Dorf im Südosten Polens nahe der ukrainischen Grenze. Für das von der Stiftung EVZ geförderte Projekt „Die Entwicklung eines örtlichen Sozialarchivs und einer Ausstellung: Vielfältige Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen in der Gemeinde Wojsławice, Polen“ hat er über zwei Jahre lang gemeinsam mit seiner Kollegin Paulina Kowalczyk Interviews mit Zeitzeug:innen und Angehörigen aus Wojsławice geführt, Karten, Dokumente und Fotos zusammengetragen und Quellen übersetzen lassen. 
Aus diesem enormen Erinnerungsinventar sind eine Ausstellung sowie ein online zugängliches Archiv entstanden, die die komplexen Dynamiken innerhalb einer multikulturellen und multireligiösen Region während des Zweiten Weltkrieges zeigen. „Ich habe mich gefragt, wie man die bisherigen lokalgeschichtlichen Aktivitäten in Wojsławice weiterentwickeln könnte und dabei gleichzeitig die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung gewinnt“, erzählt Emil Majuk über die Projektidee. 

Multiperspektivische Denkweise

Wojsławice ist ein Dorf mit einer „vor dem Krieg kulturell sehr reichen Geschichte“, wie Emil Majuk sagt. Bevor der Terror der deutschen Besatzung und die Dynamiken des Zweiten Weltkriegs aus Nachbarn Feinde machte und die lokalen Strukturen der Stadt zerstörten, lebten Ukrainer:innen, Pol:innen sowie Juden und Jüdinnen hier Seite an Seite. 
In Teilen hat die Stadt ihr kulturelles Erbe bewahrt: historische und kulturelle Aktivitäten gehören zum festen Repertoire der Kleinstadt. Man könnte sagen, die Einwohner Wojsławices waren von einem weiteren lokalgeschichtlichen Projekt nicht allzu überrascht. 
Doch obwohl die Gemeinde laut Emil Majuk eine „multiperspektivische Denkweise“ pflege, war die Arbeit an diesem Projekt heikel: „Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist in Polen ein sensibles Thema. Viele Menschen tragen seit Generationen Traumata in sich. Unser Projekt war schwierig, weil es lokale Geschichten und Verbrechen in einem Kriegskontext berührt. Wir haben viele sich widersprechende Perspektiven auf und Erinnerungen an die damaligen Ereignisse“, erzählt der Politikwissenschaftler und Kulturexperte. 

Komplexität als Stärke

Die Geschichte von Grenzregionen, zu der auch Wojsławice gehört, unterscheide sich per Definition von einer „nationalen“ Geschichte oder dem, was man im Geschichtsunterricht lerne. Sie involviere viele Akteur:innen mit unterschiedlichen Perspektiven und Interessen; zudem berührte sie schwierige Themen: Holocaust, ethnische Säuberungen, das polnisch-ukrainische Verhältnis. 
Doch gerade in dieser Komplexität von lokalgeschichtlichen Ansätzen sieht Emil Majuk zugleich ihre Stärken: „Lokalgeschichte ist sehr kompliziert und kann nicht schwarz-weiß gedacht werden. Durch den Blick auf lokale (Familien-)geschichten lassen sich persönliche Motivationen und Einstellungen aber besser nachvollziehen und Gemeinsamkeiten erkennen. Auch das unterstreicht unser Projekt.“

Gute Beziehung nicht beschädigen

Die Dissonanzen, die aus dem Chor so unterschiedlicher Stimmen entstehen, sollen im Ausstellungskonzept aufgelöst werden: Der Fokus soll auf gemeinsamen Erfahrungen und Emotionen liegen, im Zentrum sollen auch Familiengeschichten stehen.
Emil Majuk weiß, wie sensibel man dabei vorgehen muss: „Aktuell ist die Beziehung zwischen Ukrainer:innen und Pol:innen sehr gut. Wir wollten das gute Verhältnis mit der Ausstellung nicht verletzen.“ Ursprünglich war geplant, noch mehr ukrainische Stimmen zu integrieren, doch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatte das unmöglich gemacht.
Die viele Arbeit kann sich dennoch sehen lassen: Die Geschichte von Wojsławice ist mittlerweile um mehr als 100 Zeugnisse – und damit Perspektiven und Geschichten – reicher. 

Projektübersicht

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Die Ergebnisse: Die Ausstellung ist ab Mitte Februar in der ehemaligen Synagoge im Herzen des Ortes zu besichtigen. Dort befindet sich heute auch das örtliche Geschichtsmuseum mit einer Dauerausstellung zur Lokalgeschichte, an deren Konzeption Emil Majuk ebenfalls beteiligt war. Das Online-Archiv ist bereits kostenlos hier zugänglich. Darüber hinaus wurden mehrere lokale Stadtführer:innen ausgebildet.
Herausforderungen: Neben der Sensibilität, die eine multiperspektivische Geschichte erfordert, haben auch die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 das Projekt mit seinen ukrainischen Projektpartner:innen erheblich beeinflusst. Für die Unterstützung der ukrainischen Projektpartner:innen konnten Projekt- und zusätzliche EVZ-Mittel aufgewendet werden.
Projektdauer: 2021 bis 2023
 

Fundacja Nomina Rosae Ogród Kultury Dawnej, Nowy Sącz

Nowy Sącz ist eine Stadt im Süden Polens mit etwa 84.000 Einwohner: innen, die Besucher:innen mit einer reichen Geschichte und historischen Altstadt empfängt. Ein Spaziergang durch einen Teil der Stadt führt vom jüdischen Friedhof vorbei an Wiesen, die sich an den Dunajec schmiegen, über den ehemaligen Marktplatz hin zum Rathaus mit seiner von weitem sichtbaren Turmuhr. 
Was man nicht weiß: All diese Sehenswürdigkeiten sind stumme Zeugen von Verbrechen und Widerstand während des Zweiten Weltkrieges. Dr. Maria Molenda und Maciej Walasek von der Stiftung Nomina Rosae Ogrod Kultury Dawnej haben in ihrem von der Stiftung EVZ geförderten Projekt „WarTime Nowy Sącz“ die Geschichte(n) hinter diesen Fassaden sichtbar gemacht: In zweijähriger intensiver Arbeit haben sie eine detaillierte Geschichte von Nowy Sącz unter deutscher Besatzung rekonstruiert und ihre Ergebnisse auf einer Website öffentlich zugänglich gemacht.

„Es gab bereits ein paar Forschende, die sich mit der Geschichte der Stadt unter deutscher Besatzung beschäftigt und ihre Ergebnisse veröffentlicht hatten“, erzählt Maciej Walasek über die Idee hinter dem Projekt. „Aber es gab noch keinen Raum, wo all diese Informationen gesammelt und gezeigt wurden. Wir wollten diesen schaffen.“ 

Neue Quellen aus der lokalen Bevölkerung

Interessierte können Nowy Sącz nun dank einer digitalen Karte in neun thematisch verschiedenen Stadtrundgängen erkunden und etwas zu den Themen „Kulturelles Leben im besetzten Nowy Sacz“, „Terror“ oder „Arbeitslager in der Region Nowy Sącz“ erfahren. Daneben wartet die Website mit Fachartikeln, Quellenmaterial, Lehrplänen, zahlreichen Archivfotos, Biografien, einem Podcast und Filmen über das Leben von drei Frauen aus Nowy Sącz auf. 
Nach deren Premiere und Projektvorstellung wurden Maciej Walasek und Maria Molenda weitere Quellen von Menschen aus der lokalen Bevölkerung überlassen – etwa von Monika Ślepiak, die in einem der Filme die Geschichte ihrer Mutter erzählt. „Nach der Filmpremiere begann Monika nach weiteren Dokumenten ihrer Mutter zu suchen. Zuvor war sie dazu emotional zu blockiert gewesen“, berichtet Maria Molenda. Nun befindet sich eine Kopie des Tagebuchs ihrer Mutter im Besitz der Stiftung. 

Lokalgeschichte fördert das Interesse an Geschichte

Auch Lehrer:innen nutzen die Materialien im Unterricht. „Sie erzählen uns, dass ihre Schüler:innen die Stadt in einer anderen Weise wahrnehmen würden. Eine Klasse hat während des Projekts herausgefunden, dass in ihrer Schule früher eine polnische Polizeischule untergebracht war“, erzählt Maria Molenda. Heute ist diese Schule Teil des Rundgangs „Bildung im besetzten Nowy Sącz“.
Liegt hier die Stärke von Lokalgeschichte? „Wir sind uns darin einig, dass die Beschäftigung mit Lokalgeschichte das Interesse an Geschichte fördert, insbesondere bei Schüler:innen“, betont Maciej Walasek. Es mache einen Unterschied, ob man als junger Mensch etwas über eine vielleicht wichtige, aber weit entfernte Schlacht lerne, oder ob das Gebäude, in dem man gerade sitze, früher einmal eine ganz andere Bedeutung hatte.

Nur: Es ist nicht immer einfach, junge Menschen zu erreichen. „Manchmal musste ich wirklich sehr hart arbeiten, um Interesse für das Thema zu wecken“, berichtet Maria Molenda von ihrer Arbeit mit Schulklassen. Aber auch das Interesse und Vertrauen der Bevölkerung vor Ort zu gewinnen, könne kräftezehrend und langwierig sein.

Wettbewerbssituation unter kulturellen Einrichtungen 

Schwierig werde es auch dort, wo Ergebnisse dem nationalen Geschichtsnarrativ widersprechen. „Es gibt ein bestimmtes Geschichtsnarrativ in Polen, das sich in den letzten 10, 20 Jahren in eine eindeutige Richtung entwickelt hat. Es ist schwierig, etwas zu sagen oder zu veröffentlichen, das damit nicht in Einklang steht“, erzählt Maciej Walasek. 
Die Konkurrenz zwischen Lokal-, Regional-, und Nationalgeschichte mit den dazugehörigen Institutionen habe laut Maria Molenda zudem eine Wettbewerbssituation unter kulturellen Einrichtungen erschaffen, deren Ambitionen historische Arbeiten nicht immer einfach machten. 
Das Duo lässt sich davon nicht beirren: „Als wir das Projekt beendet hatten, haben wir gemerkt, dass das erst der Anfang ist. Wir haben während unserer Arbeit Dinge gefunden, die wir anfangs so nicht erwartet hatten“, sagt Maciej Walasek. Dem pflichtet auch Maria Molenda bei: „Dank der Förderung durch die Stiftung EVZ konnten wir unser Projekt erfolgreich umsetzen – und es weiterwachsen lassen.“

Übersicht

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Die Idee: „Wartime Nowy Sącz“ stützt sich auf Vorarbeiten zur Ausstellung „Everyday life under occupation Nowy Sącz 1939–1945“ aus dem Jahr 2016 und hat diese transformiert und erweitert. Anders als in Warschau etwa, wo man innerhalb der Stadt den ehemaligen Verlauf des Warschauer Ghettos nachverfolgen kann, gibt es diese Spuren in Nowy Sącz nicht. Mit der digitalen Karte lassen sich diese Orte nun finden und abschreiten.
Ausblick: Der Website-Inhalt beruht in großen Teilen auf privaten Sammlungen. In Zukunft hofft die Stiftung Nomina Rosae, diesen zu erweitern und noch mehr Geschichten und Quellen zu sammeln. Die Rückmeldungen nach der Filmpremiere und Projektvorstellung geben jedenfalls Anlass zur Hoffnung, dass das nur der Anfang war.
Projektdauer: 2021 bis 2023
 

Centralne Muzeum Wlókiennictwa w Łodzi, Łódź

Die vibrierende polnische Großstadt Łódź rühmt sich stolz mit dem Namen „Manchester Polens“. Sie verweist damit auf ihren Aufstieg im 19. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Textilzentren Europas, dessen Erbe Łódź heute mit seinem kulturellen Angebot aufrechterhält. 
Kaum eine Institution könnte die Textilgeschichte(n) Polens wohl besser erzählen als das Zentrale Textilmuseum in Łódź (Centralne Muzeum Włókiennictwa w Łodzi), symbolträchtig angesiedelt in der „Weißen Fabrik“. Das Museum ist bekannt für seine Ausstellungen, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf Textilien blicken. Mit dem von der Stiftung EVZ geförderten Projekt „Helena Bohle-Szacka. Diffusion“ ist ihm eine außergewöhnliche, multidisziplinäre Ausstellung gelungen. Sie verknüpft NS-Geschichte mit heutiger Menschenfeindlichkeit, Ästhetik mit Grauen, Verzweiflung mit Lebensfreude. Und sie ist eine in Mode gekleidete Warnung vor aktuellen Entwicklungen.

Zwangsarbeiterin, Aktivistin, Modedesignerin

Das Projekt ist um die Biografie von Helena Bohle-Szacka (1928-2011) konzipiert, eine schillernde polnische Modedesignerin mit deutsch-jüdischen Wurzeln, deren Leben und Werk eng mit Białystok, Łódź, Warschau und Berlin verbunden ist. Während des Zweiten Weltkrieges war sie in den Konzentrationslagern Ravensbrück and Helmbrechts interniert. 
„Helena Bohle-Szacka war eine Zwangsarbeiterin und überlebte zwei Konzentrationslager. Sie war aber auch eine große Modedesignerin, Philanthropin, Aktivistin, Lehrerin und Künstlerin, die ein Leben voller Spaß, Kunst und Partys geführt hat“, erzählt Marcin Różyc, Kurator der Ausstellung, über das Projekt. „Ich wollte aber nicht nur über Geschichte sprechen, sondern auch die Stimmen zeitgenössischer Künstler:innen aus verschiedenen Communities einfangen und sie von ihren eigenen Erfahrungen berichten lassen. Also luden wir Künstler:innen aus der Roma- und LGBTQ+ -Community, aus Belarus und der Ukraine ein, am Projekt teilzunehmen.“ 

Mode und Ästhetik neben Zwangsarbeit und Krieg

Aufbauend auf der umfassenden Sammlung der Sleńdziński Gallery in Bialystok, die Projektpartner und Geburtsort Helenas ist, analysierten und interpretierten Künstler:innen verschiedener Disziplinen das Leben und Werk der Designerin und verwoben es mit eigenen Fragestellungen.
Wie das konkret aussah, zeigt beispielsweise der „gute Polizist“: eine pinkfarbene Uniform mit dazugehöriger Stoffwaffe, entworfen von der belarussischen Designerin Tasha Katsuba. Hinter dem harmlos und fröhlich wirkenden „guten Polizisten“ verbirgt sich der Hinweis auf die Proteste in Belarus 2020, die brutal von der Staatsmacht niedergeknüppelt wurden. 
Die ukrainische Künstlerin Yaroslava Khomenko zerstörte während einer Führung durch die Ausstellung einen Teil des Designs, um auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufmerksam zu machen. Auf der Grundlage der Persönlichkeit und Biografie von Helenas entwarf sie außerdem ein Outfit aus abgenutzten alten Kleidern.
Mode und Ästhetik neben Zwangsarbeit und Krieg – wie reagiert das Publikum auf diese Verbindung?
„Besucher:innen geben sehr positive Rückmeldungen. Manchmal sind sie schockiert, dass wir in der Ausstellung wunderschöne Kleidung und Mode nutzen, um über den Holocaust und Konzentrationslager zu sprechen“, erzählt Marcin Różyc. Das sei vor allem in Deutschland der Fall, wo das Gedenken an den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg traditioneller gehalten werde. In Polen hingegen, so der Kurator und Journalist, sei es einfacher, diese Dinge zu vermischen. Woran liegt das?

Historische Narrative Stück für Stück dekonstruieren

„Zeitgenössische Kunst, das Theater und Mode sind in Polen stark mit Geschichte verknüpft“, erzählt Marcin Różyc – und damit einem politischen, heiß umkämpften Thema, das in Polen eine besondere Rolle einnehme. „In Polen ist aktuell eine rechtsgerichtete Regierung an der Macht, die ein falsches Geschichtsbild verbreitet. Viele Menschen und Aktivist:innen in Polen kämpfen mit Kunst dagegen an.“ Kultur und Kunst als Waffen im Kampf um Freiheit haben in Polen Tradition und wurden bereits während des Kommunismus gezückt. Und auch heute werde im Land wieder gerungen: um das vorherrschende Geschichtsnarrativ, Freiheiten und die Deutungshoheit über nationale Symbole. 
Dabei sieht Marcin Różyc eine besondere Rolle in lokalgeschichtlichen Ansätzen, die sich dank der Arbeit von Aktivist:innen und der Bevölkerung vor Ort immer weiter entwickelten und historische Narrative Stück für Stück dekonstruierten. Ein Beispiel für das Interesse an Lokalgeschichte sei Białystok. Der Geburtsort Helenas, der vor dem Zweiten Weltkrieg von jüdischen, belarussischen, russischen, polnischen und deutschen Einflüssen geprägt gewesen war, sah sich nach dem Krieg quasi entvölkert. „Białystok war nach dem Krieg eine völlig andere Stadt“, erklärt Marcin Różyc. „Menschen möchten heute mehr über die Geschichte dieser Stadt erfahren. Auch Helenas Geschichte war fast in Vergessenheit geraten. Dank des Projekts gibt es nun aber immer mehr Veranstaltungen zu ihrem Leben.“
Und so wird gerade schon weiter an der nächsten Ausstellung gearbeitet: In Helmbrechts, wo Helena Bohle-Szacka als Zwangsarbeiterin im KZ interniert war, soll ihre Geschichte im kommenden Jahr erzählt werden. 

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Über Helena Bohle-Szacka: Helena Bohle-Szacka wurde am 27. Februar 1928 in Białystok geboren. 1944 wurde die Polin mit deutsch-jüdischen Wurzeln in die Konzentrationslager Ravensbrück und Helmbrechts eingewiesen, wo sie Zwangsarbeit leisten musste. Nach dem Krieg studierte sie an der Akademie der Freien Künste in Łódź, wo sie als Designerin zur Bekleidungsindustrie der Nachkriegszeit beitrug. In den 1960er Jahren war sie Leiterin des großen polnischen Modehauses „Telimena“ in Łódź und später im Warschauer „Leda“. 1968 zog sie nach Westberlin, wo sie u.a. lehrte, Mode und Bücher entwarf und als Kunstkuratorin tätig war. Am 21. August 2011 starb sie in Berlin.
Ergebnisse und Ausblick: Neben der Ausstellung führten die Projektverantwortlichen u. a. Workshops in mehreren Städten (Warschau, Supraśl, Berlin, Tarnów und Krakau) durch und erstellten eine Online-Führung sowie Infomaterialien. Auf einer Website können Interessierte mehr zum Leben Helena Bohle-Szackas erfahren. Projektergebnis sind auch fünf zeitgenössische Kunstwerke. 
Die Ausstellung in Łódź (Oktober 2021- Juli 2022) zog insgesamt 78.820 Besucher:innen an. Aktuell ist sie noch bis zum 5. März in Białystok zu sehen. Eine weitere Ausstellung im Oberfränkischen Textilmuseum in Helmbrechts, wo Helena Bohle-Szacka als Zwangsarbeiterin im KZ interniert war, wird gerade geplant.
Projektdauer: 2021 bis 2022
 

Autorin: Maria Krell, freie Journalistin

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