Dr. Michael Gander, Leiter des Projekts „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts. Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen“ der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

Herr Gander, Ihr Projekt ruft vergessene NS-Zwangsarbeitslager ins Gedächtnis, die einst auf Fußball- und Sportplätzen errichtet wurden: Wie viele Standorte konnten schon ermittelt werden und gibt es regionale Schwerpunkte? 

Mit weit über 100 Standorten übersteigt die bisherige Recherche unsere Erwartungen, die wir zu Beginn des Projektes hatten. Schwerpunkte finden sich in den Regionen, die eine hohe Bedeutung für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft hatten, wie etwa im Ruhrgebiet. Darüber hinaus finden sich diese Orte allerdings im gesamten Gebiet Deutschlands und Österreichs. Die damalige Bedeutung von Zwangsarbeit manifestiert sich zum einen in der breiten Streuung der Standorte und zum anderen auch in ihrer Unterschiedlichkeit hinsichtlich Lagerart, Größe und Bestehenszeitraum. Überbaut mit Gewerbe- oder Wohnflächen, erinnert heute an einigen Orten nichts mehr an die Vergangenheit, weder an die als Sportplatz noch an die als NS-Zwangsarbeitslager. An anderen Standorten wird heute allerdings wieder Fußball gespielt, teilweise durch Vereine aus dem Profi-Bereich, meist durch lokale Amateursportvereine, die wir mit unserem Projekt natürlich ebenso adressieren wollen.

Sie arbeiten mit Fanprojekten aus ganz Deutschland zusammen. Wie ist das Feedback aus diesen sozialpädagogisch arbeitenden Projekten und konnten über diese Zusammenarbeit auch bereits Fußballfanszenen erreicht werden? Gibt es grundsätzlich ein Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus in Fußballfanszenen? 

Die Fanprojekte, die soziale Arbeit mit Fußballfans leisten, sind überwiegend sehr offen für unser Vorhaben. Was die Beteiligung betrifft, sind jedoch auch externe Faktoren zu berücksichtigen: ist der Verein beispielsweise erst nach 1945 gegründet worden, ist es für Fanprojekte u.U. schwieriger Fans für das Thema zu interessieren, denn deren Fokus liegt auf ihrem Bezugsverein und ggf. seiner Historie. Überdies müssen Fanprojekte auch Rücksicht nehmen, auf die inhaltlichen Schwerpunkte und Themen, die in ihren Fanszenen vorherrschen. Kann man hier anknüpfen oder neue Impulse setzen? Fanszenen sind diesbezüglich divers, sodass sich keine einheitliche Aussage treffen lässt. Es gibt Fanszenen, die bereits eigene Projekte angeschoben haben, Erinnerungsarbeit leisten und sich in diesem Kontext mit der Geschichte ihres Bezugsvereins befasst haben - nicht nur, aber auch im Nationalsozialismus. In manchen Fanszenen waren oder sind dies kleinere, zeitlich beschränkte Projekte, anderswo existieren Arbeitsgruppen, die kontinuierlich zu solchen Themen arbeiten. Zugleich gibt es Fanszenen, wo dieser Prozess erst angeschoben werden muss. Dies kann vielfältige Gründe haben, zum einen wie gesagt, dass die Geschichte des Vereins erst später beginnt oder auch, dass die in der Fanszene dominierenden Gruppen und Personen weniger Interesse an solchen Themen haben. In Österreich ist die Situation nochmal eine andere. Hier gibt es zum einen keine sozialpädagogischen Fanprojekte wie in Deutschland und Fanszenen, die sich intensiver mit historischen Themen befassen sind dort bisher seltener zu finden. In jedem Verein gibt es aber zumindest Einzelpersonen, die für solche Projekte ansprechbar sind - diese gilt es zu erreichen.

Im Sommer nächsten Jahres findet in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft statt: Ein geeigneter Zeitpunkt, um Öffentlichkeit für die historischen Verbindungen von Fußball und NS-Zwangsarbeit zu schaffen? 

Die Europameisterschaft bildet als Großevent natürlich eine Möglichkeit, das Projekt einem breiten Publikum zu präsentieren. Zugleich müssen wir jedoch auch festhalten, dass die EM eine mehrheitlich andere Gruppe von Zuschauenden anspricht. Der Fokus von „aktiven Fans“ bzw. Fans, die sich mit Erinnerungsarbeit befassen, liegt vor allem auf dem Ligafußball und ihrem jeweiligen Bezugsverein, für den sie sich engagieren. Hier finden historische Projekte zur Aufarbeitung der Vereins- oder Stadtgeschichte ihren Ausgangspunkt und auch die sozialpädagogische Arbeit der Fanprojekte ist in erster Linie darauf ausgerichtet.  Es ist für die EM jedoch ein breites kulturelles Begleitprogramm geplant und auch wir werden diese Gelegenheit nutzen, um genau diese andere Gruppe von Fans mit unserem Projekt bekanntzumachen.