Viel war in jüngster Zeit vom Anti-Antisemitismus die Rede, davon, dass die Politik gegen den grassierenden Judenhass vorgehen müsse. Doch was passiert? Außer dringlichen Worten ist kaum etwas zu vernehmen. Selbst dort, wo sich konkret etwas tun ließe, wird weiterhin gezögert. So kommt es, dass noch immer Menschen von der Judenverfolgung und dem Holocaust profitieren. Noch immer hängen in deutschen Museen und in privaten Villen Kunstwerke, die jüdischen Sammlerinnen und Sammlern einst unter der Naziherrschaft seit 1933 "abhandengekommen" sind. Es geht um Werke von Picasso, Klimt und Monet. Und um viele Millionen Euro. Vielleicht sogar Milliarden.

Da ist etwa das Gemälde von dem schlafenden Hündchen auf weißem Tuch. Max Slevogt hat es 1900 gemalt, das Bild gehörte dem jüdischen Sammler Eduard Fuchs – bis es die Gestapo im Oktober 1933 beschlagnahmte. Zwangsweise wurde es 1937 versteigert. Später, lange nach Kriegsende, tauchte das Hündchen in der Sammlung des Industriellen Georg Schäfer in Schweinfurt auf. Zuletzt sollte es 2004 in einem Kölner Auktionshaus versteigert werden. Heute ist der Verbleib unbekannt.

"Blumen in einer Vase" von Lovis Corinth © Karl & Faber Kunstauktionen GmbH

Die Geschichte des Hündchens kann man in der Datenbank Lost-Art nachlesen. Zehntausende Suchmeldungen nach NS-Raubkunst sind dort aufgelistet. Sehr spät, nämlich genau vor 25 Jahren, einigten sich 44 Staaten, darunter Deutschland und die USA, in der Washingtoner Erklärung auf eine Aufarbeitung dieses Naziverbrechens. Geraubte Kunst sollte identifiziert werden, um dann mit den rechtmäßigen Eigentümern eine gerechte Lösung zu finden. In Berlin wird an diesem Donnerstagabend das Jubiläum der Washingtoner Erklärung gefeiert.

Doch zum Feiern gibt es keinen Grund. Zwar wurden unterdessen Tausende Kunstwerke, Antiquitäten und Bücher restituiert oder Entschädigungsgelder gezahlt, auch weil einige engagierte Kunsthistorikerinnen, Museumsdirektoren und Rechtsanwältinnen durch ihre akribische Arbeit geholfen haben, wenigstens einen Teil des Unrechts wiedergutzumachen. Im Münchner Auktionshaus Karl & Faber wird so ebenfalls an diesem Donnerstagabend ein Blumengemälde von Lovis Corinth versteigert, das einst dem jüdischen Sammler Hugo Winter gehörte. Nachdem die Nazis an die Macht kamen, musste Winter fliehen, wann genau das Blumenbild im NS-Reich beschlagnahmt wurde oder unter Zwang verkauft werden musste, ist unklar. Die süddeutschen Erben des Mannes, der es 1938 von einem Dritten erwarb, verkaufen es jetzt. Nach einem längeren Hin und Her konnte durch die Vermittlung des Auktionshauses und der Rechtsanwältin der israelischen Erben eine Lösung gefunden werden: Ein Teil des Verkaufserlöses fließt an die Familie Winter. So wie sie sind unzählige Nazi-Opfer oder deren Erben immer noch auf der Suche nach ihrem Eigentum. Und das fast achtzig Jahre nach Ende der Naziherrschaft.

Das Problem: Die Washingtoner Erklärung war rechtlich nie bindend. Private Sammler müssen Naziraubkunst in Deutschland wegen der hier geltenden Verjährungsfristen nicht herausgeben. Selbst dann nicht, wenn ihre Eltern oder Großeltern beim Kunstkauf bewusst die Not jüdischer Menschen ausgenutzt haben. In Deutschland sollte eine "Handreichung" der Bundesregierung dafür sorgen, dass sich zumindest die öffentlichen Museen an die Washingtoner Vereinbarung halten. Doch weigern sich manche große Museen – wie etwa die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Fall des Picasso-Gemäldes Madame Soler – noch immer, zumindest die Beratende Kommission NS-Raubgut anzurufen. Diese Kommission gibt in strittigen Fällen eine Empfehlung ab, auch die ist bisher allerdings rechtlich nicht bindend. Und nur wenn beide Seiten, Anspruchsteller und Museen, zustimmen, darf die Kommission überhaupt beraten. In den vergangenen 20 Jahren hat sie gerade einmal 23 Fälle entscheiden können.

Seit Jahren wird von der Bundespolitik angekündigt, das Verfahren müsse vereinfacht werden, passiert ist bisher nichts. Im Frühjahr, so heißt es jetzt aus dem Amt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, soll sich das ändern. Wahrscheinlich. Noch scheint vor allem das Land Bayern eine wirkliche Stärkung der Kommission zu verhindern. Immerhin, sie soll einige Hunderttausend Euro mehr Budget bekommen. Doch sollte man ihr Millionen geben, damit sie zwei, drei Dutzend kunsthistorische Detektive anstellen kann. Und sie muss verbindliche Entscheidungen treffen dürfen.

Endlich müssen auch die Gesetze, die Rückgaben bisher verhindern, reformiert werden. Das haben sich Claudia Roth und ihr Amtsleiter Andreas Görgen ebenfalls vorgenommen. Doch im Kampf gegen den Antisemitismus sollte die Aufarbeitung des unbewältigten Unrechts jetzt dringend zu einem zentralen Projekt der gesamten Bundesregierung und der Länder werden. Nichts, was im direkten Zusammenhang mit dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte steht, darf verjähren. Die jüdische Familie Winter möchte ihren Anteil am Verkaufserlös des Blumenbilds übrigens spenden – an die Opfer des Massakers vom 7. Oktober.